Ich glaube vergangene Nacht ist eine Katze vom Dach gestürzt. Warum kann ich nur vermuten. Besonders heiß wird es nicht gewesen sein, das Blechdach. Zum Abend hin kühlen die Temperaturen hier in Tiflis auf bis zu 13 Grad ab. Vielleicht ist sie während der Jagd auf dem glatten Untergrund ausgerutscht oder sie wurde von einem fiesen Artgenossen geschubst. Der saß danach oben, spähte hinab und lachte sich ins Pfötchen.
Auf jeden Fall folgte auf einen maunzenden Schrei, blechernes Poltern, das mich aus meinem Schlaf riss. Danach lag ich einige Zeit lang wach im Bett, lauschte hinein in die Dunkelheit und starrte Richtung Decke. Es mag eine Stunde oder auch drei gewesen sein, die ich so da lag und überlegte, ob ich mal draußen nachsehen soll, ob irgendwo eine hilfsbedürftige Katze in Sicht ist. Nach abwägen von diversen Pros und Cons entschied ich mich fürs liegen bleiben und lauschte noch ein wenig der Stille, bis mich der Schlaf übermannte.
Einige Stunden später sitze ich im Café Hurma beim Frühstück. Bei georgischem Joghurt mit Granola und einer großen Tasse Cappuccino lasse ich die ersten Tage meiner Reise Revue passieren.
Der Beginn hätte weitaus reibungsloser verlaufen können. Erst lasse ich Schussel meine Boardkarte des Anschlussfluges von Istanbul nach Tiflis bei der Sicherheitskontrolle in Frankfurt liegen. Fix flitze ich zurück. „Das macht dann fünf Euro“, sagt der Herr von der Security und wedelt mit meinem Ticket in der Hand. Erst gucke ich ein wenig verdutzt, sein Grinsen verrät mir aber schnell, dass es sich um einen Scherz handelt.
Dann sitzen wir im Flieger. Sitzen. Warten. Bis eine gefühlte Ewigkeit verstreicht und ein stark keuchendes und erschöpft wirkendes älteres Paar einstiegt. Und endlich fliegen wir los. Mit deutlicher Verspätung, sodass die Zeit recht knapp werden wird, um in Istanbul meinen Anschlussflieger nach Tiflis zu erwischen. Um halb sieben landen wird. „Bitte werden wir mit dem Flieger direkt am Terminal rausgeworfen und müssen nicht noch mit einem Bus übers halbe Rollfeld fahren“, hoffe ich still vor mich hin.
Natürlich bestätigt sich meine Vorahnung. Wenige Minuten später stehe ich im Bus, möglichst nah am Ausgang, der sich sehr zäh füllt. Ich schiele auf die Armbanduhr eines anderen Passagiers. Meine Uhr habe ich zu Hause gelassen und mein Handy ist in den Tiefen meiner Laptoptasche vergraben. Viertel vor sieben. Noch knapp eine Dreiviertelstunde bis der Flieger abhebt. Das Boarding hat gerade begonnen. Endlich setzt sich der Bus in Bewegung und beim Halt stürme ich raus. Scanne die Schilder nach dem Transit-Bereich. Da drüben links. Nochmal durch die Sicherheitskontrolle. Ich suche den Bildschirm mit den Abflügen nach dem richtigen Gate ab. Ah da, Tiflis Gate 305a. Wieder losrennen. Rolltreppe runter und nochmal runter. Und bis ans Ende des Ganges. Und da ist es das rettende Gate bei dem noch ein paar letzte Passagiere boarden. Puhh, geschafft!
Eine Stunde später sitze ich bei Reis mit Gemüse auf meinem Fensterplatz und schaue beim Essen zu, wie die Sonne über dem Schwarzen Meer untergeht. Schließlich legt sich tiefe Nacht über das Wasser und übrig bleibt ein Meer an Sternen.
Nach diesem Anblick bin ich wieder milde gestimmt, nach meinem etwas stressigen Springt durch die Transit-Zone. Dieses Gefühl ist jedoch leider nur von kurzer Dauer. Etwas später stehe ich nach der Landung seufzend am Tifliser Flughafen und lese zum vierten Mal die Namen auf den Schildern, die Menschen im Ankunftsbereich hochhalten. Meiner ist zu meinem Bedauern nicht dabei.
Da ich erst nachts landete und ich mir den Start in Tiflis etwas entspannter gestalten wollte, hatte ich bei meinem Hostel einen Shuttle Service vom Flughafen gebucht. Doch es scheint als habe man mich vergessen. Nun ja, also doch mit einem überteuerten Taxi in die Stadt.
Janine und Fridolin von a fabulous world schreiben über den mörderischen Fahrstil der Georgier. Nach meiner ersten Fahrt vom Flughafen in die Stadt weiß ich exakt was sie meinen. Einige Tage später, nach der fünften Fahrt, stelle ich mal wieder fest: Man gewöhnt sich tatsächlich an alles. Auch an die wildesten Hupkonzerte, rasante Spurwechsel und waghalsige Überholmanöver, bei denen jeder italienische Verkehrsrowdy vor Neid erblassen würde.
Zurück zu meiner Taxifahrt zum Hostel. Erst will der Fahrer mich bei der falschen Adresse absetzen. Dann kommen wir doch noch da an wo ich hin möchte. Ich klopfe an das Eingangstor und im nächsten Moment hätte ich am liebsten auf dem Absatz meiner Wanderschuhe kehrt gemacht und wäre wieder ins Taxi gestiegen, um zurück zum Flughafen zu fahren.
Vor mir in der Dunkelheit stehen fünf betrunkene ältere Männer. Lallend und schwankend, mit einer ordentlichen Fahne. Nicht gerade die wünschenswerteste Begegnung, wenn man als Frau alleine reist und mitten in der Nacht nach einer langen Reise ankommt. Der Mann mit dem höchsten Pegel schnappt mich am Arm und zieht mich hier und dort hin, um mir Küche, Bad des Hostels zu zeigen und zu guter Letzt mein Zimmer. Ein winzig kleines Kabuff. An sich kein Problem. Ich bin, insbesondere auf Reisen, vollkommen pflegeleicht und lege keinen Wert auf Luxus. Was mir aber nicht ganz unwichtig ist, ist die Sache mit der Sauberkeit – und in dem kleinen, fensterlosen Zimmer, das ich für die nächsten fünf Nächte gebucht habe, riecht es, als hätte jemand einen ganzen Haufen toter Katzen unter dem Bett gelagert.
Ich schlafe nicht wirklich in dieser ersten Nacht in Georgien. Atme ich durch die Nase, dreht sich mir der Magen um. Versuche ich durch den Mund Luft zu holen, habe ich die Sorge, dass sich irgendwelches Getier den Weg in eben diesen bahnt. Also wechsle ich regelmäßig mit der Atmung und warte darauf, dass es Morgen wird, damit ich schnellstmöglich meine Sachen schnappen kann, um mich in einem neuen Hostel einzuquartieren.
Der neue Tag bricht an und gleich am Morgen erlebe ich das erste Mal am eigenen Leib die georgische Gastfreundschaft, von der ich schon so viel gehört und gelesen habe. Von keinen geringeren als den gestern noch so sternhagelvollen Herren vom Hostel. Der eine akzeptiert mein verfrühtes Auschecken ohne Murren und berechnet mir nur die eine Nacht. Ein anderer fährt mich mit dem Auto zu meiner neuen Unterkunft, ohne Geld dafür zu wollen.
Eine gute Sache hat die Nacht in dem miefigen Zimmer außerdem: Denn so lerne ich Alik, Max und Dimi aus Russland kennen. Drei wunderbar lustige Gesellen, mit denen ich den Rest des Tages Tiflis erkunde. Mit der Seilbahn fahren wir vom Rike-Park zur Narikala Festung. Wir genießen die sagenhafte Aussicht über Tiflis und spazieren im Anschluss durch den über 128 Hektar großen Botanischen Garten.
Am Abend fahren wir mit ihrem Auto nach Mzcheta, der einstigen Hauptstadt Georgiens. Aus den Boxen dringt Linkin Park und ein interessantes „Zombie-Cover“. Ansonsten verläuft die Fahrt vor allem eins, temperamentvoll, mit viel lautem, russischem Gebrüll. Denn sowohl Max auf dem Beifahrersitz, als auch Dimi, der hinter ihm sitzt, versuchen Alik zu navigieren. Ich lehne mich zurück, schaue aus dem Fenster und amüsiere mich über das Spektakel.
Quietschende, schlingernde Reifen. Kurzes Abbremsen, nur um im nächsten Moment wieder das Gaspedal durchzudrücken. Alik fährt entweder genauso wie die Georgier oder hat sich dem Fahrstil der Landsleute formvollendet angepasst. Letzteres ist der Fall, erzählt er mir später beim Abendessen in Mzcheta.
Hier esse ich Chatschapuri, ein mit Käse und Ei überbackenes Brot. Dazu trinke ich mein erstes Glas leckeren georgischen Rotwein, genauer gesagt Kindzmarauli, auf das während dieser Reise noch viele, viele weitere folgen werden. „I’m so glad I met you guys“, sage ich, als die drei mich in die Kunst des Chatschapuri essens einweihen, ich das Besteck weg lege und die georgische Spezialität, ganz landestypisch mit den Händen esse und Alik kriegt sich nicht mehr ein vor lauter Lachen, bei der Vorstellung, wie ich Chatschapuri mit Messer und Gabel gegessen hätte.
Auf dem Rückweg darf ich die Macht über die Musik übernehmen. Um den Geschmack der Jungs so einigermaßen zu treffen, entscheide ich mich für The Underground Youth, die Max auch gleich in seiner Playlist speichert. Auf der Rustaveli Avenue, der Champs Elysees von Tiflis, lassen wir uns erneut für ein Glas Wein nieder und stoßen an, auf das Leben, neue Begegnungen und den Beginn einer aufregenden Reise.
11 COMMENTS
Julia
6 Jahren agoOhje, so ein stressiger Start ist ja nicht das, was man sich so wünscht. Umso schöner sind die Begegnungen, die einen wieder milde stimmen. Schöner Artikel, ich bin gespannt auf mehr!
Sarah
6 Jahren ago AUTHORDanke, liebe Julia!
Ja, zum Glück wurde es danach ganz schnell ganz großartig. 🙂
Shadownlight
6 Jahren agoDanke für die tollen Einblicke! Ich finde ja die Landschaft beeindruckend!
Ich wünsche dir einen guten Start in die Woche!
Sarah
6 Jahren ago AUTHORVielen lieben Dank! Dir auch eine wundervolle Woche,
Sarah
Kerstin
6 Jahren agoHach, mal wieder sehr schön geschrieben! Die Geschichte mit dem toten Katzenzimmer durfte natürlich nicht fehlen. Auch wenn die Nacht fürchterlich war, taugt sie doch zu einer guten Story! 😉 Genieß Deine eigenen Federn! Bis ganz bald!
Ganz liebe Grüße,
Kerstin
Sarah
6 Jahren ago AUTHORVielen Dank, liebe Kerstin! Und ja – es geht doch nichts über das eigene Bett! 🙂
Bis hoffentlich bald mal wieder,
Sarah
Andreas Hohaus
6 Jahren agoNach deiner ersten Beschreibung-da wäre ich nie und nimmer geblieben,geschweige denn-warum nur Georgien als Reiseziel.Am Ende des Artikels,den ich recht gut beschrieben fand,mit tollen Photos,bin ich nun gespannt wie es weiter geht.Aber Georgien,und dann alleine?
Komm gut ins Wochenende und lieben Gruß,Andy:)
Sarah
6 Jahren ago AUTHORJa, zum Glück hat sich das Blatt dann ganz schnell gewendet. Und auch als Frau alleine unterwegs zu sein war gar kein Thema. Nur in diesem einen Moment habe ich mich etwas unwohl gefühlt.
Dir auch ein schönes Wochenende!
Viele Grüße,
Sarah